19: Ecuador: Die Bonsai-Gärtner

Wir sind jetzt im südlichen Ecuador. Teilweise radeln wir, oft nehmen wir aber auch den Bus oder fahren per Anhalter. Um Buenos Aires noch vor Weihnachten zu erreichen, müssen wir uns beeilen und bewusst einige Teile Südamerikas auslassen.

Von Cuenca, der Kolonialstadt im Süden Ecuadors, hören wir nur Positives, also wollen wir die Stadt unbedingt sehen. Sie ist viel schicker und sicherer, als wir uns vorgestellt haben. Wir verbringen drei Tage hier, spazieren durch die Straßen und widmen uns zum ersten Mal intensiv einem kleinen Videoprojekt.

Der Weg südlich von Cuenca ist unglaublich bergig. Teilweise strampeln und schieben wir unsere Fahrräder mehr als vier Stunden lang nur bergauf. Trotz der Anstrengung macht es Spaß, denn die Temperaturen sind angenehm kühl, und wir genießen die frische Bergluft. Am Ende des Tages schlagen wir unser Zelt an einer Lagune auf, die auf 3500 Metern liegt – ein wunderschöner, stiller Ort.

Zu unserer Freude tauchen endlich auch wieder mehr Vögel auf, und das Teleobjektiv ist jetzt fest auf der Kamera montiert. Ein besonderer Moment ist, als ich zum ersten Mal in meinem Leben ein neugeborenes Kalb sehe, so frisch, dass es noch nicht ein mal auf eigenen Beinen steht. Es blickt direkt in die Kamera – ein schöner Augenblick.

Leider geht es Justas nicht gut. Sein Körper kämpft erneut mit einer Magendarminfektion, und die steilen Anstiege machen es nicht leichter. Ausgerechnet auf einer der langen Abfahrten von einem der Berge zieht er die Reißleine und bittet, zitternd vor Erschöpfung, anzuhalten.

Wir strecken den Daumen raus und haben Glück: Nach einiger Zeit hält eine Gruppe älterer Herren an, die uns nicht nur mitnimmt, sondern uns sogar auf ihre Finca einlädt, damit Justas sich erholen kann.

Während er schon tief schläft, erfahre ich den unerwarteten Grund für das Treffen dieser Männer: Bonsai-Gärtnerei.

Einmal im Monat, und das schon seit über 20 Jahren, treffen sich diese vier Freunde aus Cuenca und der Umgebung, um ihrem gemeinsamen Hobby nachzugehen. Die Zusammenkünfte drehen sich um Wein, Whisky und Gegrilltes, aber vor allem um kleine Scheren, Drähte, Töpfe und das kunstvolle Design ihrer lebenden Miniaturbäume.

Ich hätte nie gedacht, dass jemand ein so ungewöhnliches Hobby wie Bonsai-Gärtnerei so cool wirken lassen könnte. Die Energie der Gruppe ist absolut ansteckend, und meine Fragen sprudeln nur so aus mir heraus.

Wie ich schnell lerne, erfordert die Pflege und Gestaltung von Bonsais eine erstaunlich breite Palette an Fähigkeiten. Der Herr rechts im Bild,, verbrachte sogar drei Jahre in Spanien auf einer Bonsai-Schule und lernte dort bei einem japanischen Meister, einem sogenannten "Senpai".

Der erste Schritt in diesem Prozess ist die Auswahl des Baums. Auf einem separaten Feld, das sich auf der Finca befindet, wachsen tatsächlich Hunderte potenzieller Bonsais heran. Der Senpai selbst entscheidet, welche dieser jungen Bäume die richtige Qualität und das nötige Potenzial für die weitere Bearbeitung haben. Es ist faszinierend zu sehen, wie viel Geduld und Hingabe in diese lebenden Kunstwerke fließt – und wie viel Wissen und Erfahrung dahinter steckt.

Natürlich beginnt alles mit dem handwerklichen Teil – dem Bau eines Kübels. In diesem Fall handelt es sich um einen großen Kübel für einen neuen Baum, der als Ausgangspunkt dient. Mit der Zeit, und das ist einer der Schlüsselschritte, werden die Bonsais nach und nach in immer kleinere Töpfe umgepflanzt. Dieser Prozess unterbricht das Wachstum des Baums, sodass er klein bleibt, aber dennoch in eine schöne, ästhetische Form gebracht werden kann.

Bevor es ans eigentliche Gestalten des Bonsais geht, wird erst einmal ausgiebig diskutiert. Jeder Baum erfordert seine eigene Strategie, und die Herren tauschen sich lange über die besten Techniken aus. Sobald die Entscheidung getroffen ist, beginnen sie, die Äste mit speziellem Draht in die gewünschte Form zu bringen. Dabei werden die Äste entweder vorsichtig umschlungen oder mit kleinen Spannseilen nach unten gezogen, um die richtige Richtung vorzugeben.

Über Jahre hinweg bleibt der Draht am Baum, und das Design entsteht Schritt für Schritt. In diesem Fall wird ein Bonsai nach dem sogenannten „Wasserfall-Design“ geformt, bei dem der Baum so wächst, dass seine Äste elegant nach unten fließen, fast wie ein natürlicher Wasserfall.

Diese Drähte müssen natürlich fürsorglich abgenommen werden, damit sie den Baum nicht beschädigen, wenn er weiter wächst. Hier vertraut die Gruppe auf die Geduld und das geschickte Handwerk des Gruppenältesten. Er weiß genau, wann es Zeit ist, den Draht abzuschneiden, um das Wachstum des Bonsais nicht zu stören und gleichzeitig die gewünschte Form zu bewahren.

Aber beim Formen der Bäume hört es nicht auf; es kommen noch weitere Stilelemente hinzu. Beispielsweise werden Teile der Rinde abgenommen und mit Kalk behandelt, um bestimmte Stellen weiß zu machen und einen interessanten Kontrast zu schaffen. Diese Technik verleiht dem Bonsai nicht nur eine einzigartige Ästhetik, sondern betont auch die Details und die Struktur des Baumes (deren Worte, nicht meine).

Darüber hinaus werden einige Bereiche sogar angeflämmt, um einen dunklen Kontrast zu erzeugen, der die natürlichen Linien und Formen des Bonsais hervorhebt.

Über die Jahre hat der Bonsai-Club mehr als 120 Bäume erschaffen. Dabei gibt es insgesamt 10 verschiedene Baumarten, darunter sogar einen kleinen Apfelbaum mit winzigen Früchten. Die Herren legen jedoch großen Wert auf ihre Privatsphäre: Sie möchten weder namentlich erwähnt noch den Standort ihres Clubs preisgeben. Ein Grund dafür ist, dass ihre Bonsais in Europa beispielsweise mindestens 4000 bis 5000 Euro pro Stück wert wären (mal 120!), was die Sammlung zu einem richtigen Schatz macht. Doch in erster Linie geht es ihnen nicht ums Geld, sondern darum, einfach ihre Ruhe zu haben und ihre Leidenschaft in entspannter, ungestörter Gemeinschaft zu genießen.

Für uns geht es nun so schnell wie möglich in eine größere Stadt, um für Justas einen Labortest und die nötige Medizin zu besorgen. Sobald er wieder fit ist, wollen wir zügig bis in die Mitte von Peru kommen. Dort erwartet uns ein echtes Highlight: die beeindruckende Huascarán-Bergkette, auf die wir uns schon lange freuen.

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